Montag, 29. Januar 2018

Im Exil


 Etwas zögerlich nähern sich die beiden gutgekleideten Herren. Victoria ist überrascht, als die beiden unangemeldet in der Tür stehen. Gäste sind ihr natürlich stets willkommen, aber mit dem Anspruch, eine perfekte Gastgeberin zu sein, hat sie hat doch gern vor jedem Besuch eine Vorwarnzeit für die Vorbereitung.


Albert lässt einen Moment das Buch sinken, um zu sehen, ob er seinen Pflichten als Hausherr nachkommen muss. Obwohl er gerade an einer spannenden Stelle ist und gern wüsste, ob es am Ende auch gut ausgeht.


 Bevor der Nager im feinen Zwirn etwas erklären kann, schiebt ihn der Löwe beiseite. "Das ist meine Aufgabe," bestimmt er knapp. Dann wendet er sich an Victoria: "Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Ich bin Leondas der Achte, im Augenblick zwar König … doch ohne Land." Victoria ist sprachlos. Ein gekröntes Haupt in ihrer bürgerlichen Stube! Sie stammelt schnell: "Willkommen, Euer Hochwohlgeboren." … und macht zur Sicherheit noch einen etwas wackeligen Knicks.


Albert wundert sich, wieso Victoria da vorn an der Tür solche Verrenkungen macht. Plötzlich ist sie ganz aufgeregt, tänzelt unruhig umher und auch die Schwanzspitze tippt immer wieder nervös auf den Boden. Er sollte mal nachsehen – wenn er noch schnell den letzten Absatz gelesen hat.


  Dem achten Leonidas (der erste ohne Land) ist es sichtlich unangenehm, hier unangekündigt im Wohnzimmer stehen zu müssen. "Danke, aber Eure Hoheit reicht." Ein überstürzter Besuch, sicher, aber für eine Depesche hat die Zeit nicht gereicht und außerdem, wer hätte sie verschicken sollen. 'Ohne Land' heißt leider auch ohne Poststelle. Ob die Briefmarken mit seinem Konterfei überhaupt noch gültig sind? Dazu kommt, dass er bis eben noch keine Ahnung hatte, wohin der Weg ihn überhaupt führt. Im Moment braucht er dringend ein Exil und ist froh über jedes gastliches Haus, das ihn aufnimmt. Zu seinem Glück ist er nicht allein in dieser kummervollen Lage – sein treuer Kammerherr ist treu an seiner Seite. Der versucht im Wisperton der nervösen Victoria gerade einen Schnellkurs im Umgang mit einem zwangsverschickten Wander-Monarchen zu geben.


"Dies ist unsere bescheidene Hütte," untertreibt die Hausherrin schamlos. Sie weiß schließlich nicht, in welchem Pallast und mit wievielen goldenen Löffeln im Mund so ein König aufgewachsen ist. "Nein, nein, es ist sehr schön hier," schüttelt der Löwe etwas steif seine Mähne. Auch er bemüht sich nach Kräften auf diesem für ihn ungewohntem Parkett eine gute Figur zu machen.


  "Ich habe auch ein Gastgeschenk für Sie." Dabei weist er mit einem kurzen Nickem seinen Kammerherrn an, das schön verpackte Päckchen an die Gastgeberin zu überreichen. Zum Glück hat sein Diener noch schnell was einpacken lassen, bevor sie aufgebrochen sind. Es ist immer etwas schwierig, auch unterwegs die Minimalstandards der Hofettikette aufrecht zu erhalten.


Die kleinen Mäuse sind ganz aufgeregt. Ein Gast der Geschenke bringt? Vielleicht ein unbekannter Onkel aus Amerika oder etwas anderes Freigiebiges? Müssen sie auch einen Knicks machen? Oder warten, bis Victoria alle vorstellt?


 Doch die Dame des Hauses ist dafür viel zu aufgeregt: "Albert, nun leg doch endlich die Schwarte beiseite. Er ist ein König und bringt sogar Geschenke!" Das ist viel zu hübsch, um es gleich auszupacken. Außerdem muss sie sich um Getränke und alles mögliche andere kümmern. "Nehmen Sie doch bitte Platz, Eure Hoheit. Möchten Sie ein Törtchen oder einen Kaffee?" Sie wendet sich wieder an ihren Albert: "Los doch, biete Seiner Hoheit doch einen Roten an. Den musst du nicht verstecken." Der melancholische Monarch wehrt matt ab: "Machen Sie sich doch keine Umstände."


'Umstände machen' ist doch die vornehmste Pflicht einer guten Gastgeberin. So schätzt es der Kammerherr durchaus, dass Victoria sofort fragt, ob sie schon ein Quatier für die Nacht haben? Sie könnte das Gästezimmer fertig machen. Sie weiß nur nicht, wie viele Schrankkoffer ins Haus passen. Doch der Kammerherr kann sie beruhigen. Er hebt den mitgebrahcten Rucksack an, der König reist nur mit leichtem Gepäck.


 Leonidas schlendert durch den Raum, um zu verbergen, dass auch für ihn diese Situation ungewohnt und damit etwas unbequem ist. Wie soll er sich verhalten. Er ist es noch immer gewohnt, einfach zu gebieten. Doch hier ist er auf diese bürgerliche Mäuse und ihre Gastfreundschaft aus freien Stücken angewiesen. Doch Victoria hat noch niemanden im Regen stehen lassen und erst recht nicht einen König. So folgt sie ihm auf Schritt und Tritt und müht sich, das Gespräch nicht abreißen zu lassen. "Das, Eure Hoheit, ist unsere Käsevitrine. Es war ein Weihnachtsgeschenk für mich, aber die besten Stücke sind fast noch ganz. Käse darf ja ein wenig reifen, wenn Dero Gnaden vielleicht etwas verkosten wollt." Käse! Doch wohl besser nicht: "Vielleicht später, meine Liebe." Er kraust die Nase. Aber es sind nun einmal Mäuse und da muss auch ein königlicher Großkater wohl Zugeständnisse machen. Besonders, wenn er froh sein muss, hier Gast sein zu dürfen.


 Der Kammerherr schiebt sich unaufdringlich dazwischen: "Ihre Hoheit würde einen kleinen Imbiss dankend annehmen, aber er hat eine gewisse Umverträglichkeit für Käse. Vielleicht hätten Sie eine Alternative? Es muss auch nichts Übertriebenes sein." Ohje, Victoria hat es ja geahnt, so hoher Besuch braucht auch eine höhere Küche. "Ich husch mal schnell in die Küche und stelle eine kleines Buffet zusammen," haspelt sie, bevor sie sich rückwärts durch die Tür verabschiedet.


  Wenig später hat der landbefreite König immerhin schon im Sessel Platz genommen. Umlagert von all den jungen Mäusen, die immer noch nicht fassen können, was da so plötzlich in die Stube geschneit ist. So angestarrt zu werden, ist für einen König eigentlich nichts Besonderes. Aber normalerweise hat er dann sein eigenes Reich als eine schützende Kulisse. So ist es schon etwas fremd und er greift gern zum Roten, den ihm Albert vorsorglich kredenzt hat. Der Hausherr hat dafür auch die Bücher endlich beiseite gelegt. Nach einem intensiven Studium über die beste Zubereitung von Käsekuchen hatte er die Variationen von Schokotorten einer genauen Betrachtung unterzogen, und war dabei jeder noch so überraschenden Wendung in den Rezeptanweisungen gebannt gefolgt. Doch wenn Victoria in der Küche zaubert, sollte es sich doch um den etwas traurig dreinblickenden Gast kümmern und wenn es geht aufheitern: "Prost, Euer Hoheit. Darf ich noch etwas nachschenken?"


 "Pst," der König wendet sich an seinen Kammerherren: "Das hier ist unser Domizil für die nächsten Wochen?" Der Kammerherr nickt. "Wir haben keine andere Möglichkeit? Ich muss den Raum mit einem Käselager teilen?" Nach einer Pause, bei der er Albert freundlich zuprostet. "Gab es denn keine anderen Angebote … auch nicht in diesem Zwischennetz?"


 "Eure Hoheit, es sind ehrliche und freundliche Mäuse, die nicht die falschen Fragen stellen." Sein Kammerherr wundert sich immer wieder, wie abgehoben so eine königliche Erziehung machen kann. "Wir hätten es viel schlecher treffen können."


Derweil blickt Victoria sich etwas ratlos in der Küche um. Auf königlichen Besuch war sie wirklich nicht vorbereitet. Es gibt zwar schon Platten für den Abend. Das sind aber ausgerechnet wieder Käseplatten. Die Reste vom Mittag mag sie nicht anbieten. Denn das ist doch nur – zwar leckere – aber schlichte Hausmannskost. Sie sollte Albert in den Keller zur Gefriertruhe schicken und hoffen, dass das Fleisch beim schnellen Auftauen nicht zu zäh wird. Wenn dero Gnaden länger bleiben will, werden das noch stressige Wochen für sie und ihre Küche.


Idee: SchneiderHein    Fotos: W.Hein


Leonidas und sein Kammerherr sind zwei Einzelstücke von Julia Nazarenko (Juna Art) aus Estland vom April 2017.

Es ist ein trauriger Anlass, die einen stolzen Leonidas ins Exil treiben. Sein bisheriges Reich, die Bärenhöhle Mahnke in der Flüggestraße 3 in Hannover List wird leider das Ladengeschäft schließen. Noch bis zum 24. März geht der Räumungsverkauf, jetzt mit Preisnachlässen zwischen 30% und 70% je nach Artikel. Auch wenn es danach online weitergehen soll. Es ist schade, dass es bald keine Bärenhöhle mit Besuchsrecht mehr geben wird, haben uns doch die Mahnkes mit dem Bärenvirus erst richtig infiziert. Erst hier haben wir die wunderbaren Bären von Kathleen Wallace, Ulrike und Claude Charles, Petra Waldorf und vielen anderen Bärenkünstlern kennengelernt. Viele unserer Helden und Heldinnen kommen von aus der Bärenhöhle. Nicht zu vergessen die großartigen Plüchgesellen, die Hanne Mahnke selbst entworfen hat. Wer also noch einmal ein Kleinod der Liebe und Hort des Wissens erleben möchte – bevor es nur noch im Netz veschwunden sein wird – sollte sich jetzt endlich auf den Weg nach Hannover machen. Hier noch mal der Link mit allen Infos zum Abschied:
Bärenhöhle Mahnke.

2 Kommentare:

Claudia hat gesagt…

Guten Morgen, ihr Lieben und danke für diese schöne Geschichte, die ja aber einen traurigen Grund zum Anlass hat!
Ich kenne die Bärenhöhle Mahnke noch aus Zeiten, wo ich mit meinen Knuffelbären auf Austellungen ging... so schade zu lesen, daß sie nun schliessen! Da geht eine großartige Aera zu Ende .....
ღ Hab einen schönen und freundlichen Tag! ღ
♥ Allerliebste Grüße , Claudia ♥

SchneiderHein hat gesagt…

@ Claudia
Ja, als wir im Januar von der Schließung erfuhren, waren wir auch sehr traurig. Es waren viele schöne Besuche im Laufe der Jahre, wo wir dort gerne auch gern mal länger als 1 Stunde verweilten, da es so viel zu entdecken und auch reichlich über die Plüschszene zu erfahren gab ...
Nur auch wir haben 2017 durch unser 'Year of the cats …' dazu beigetragen, dass der Umsatz zurück ging. Und nun können wir nur noch ein paar Plüschgesellen & Mäuse-Accessoires aus dem Räumungsverkauf ein neues Heim bieten.