Dienstag, 23. Januar 2018

Alles wegen Friederike


Die Ruhe nach dem Sturm durchschneiden kreischende Sägen. Den Dachs ficht das nicht an. Er ist ganz aufgeregt, denn er hat gerade eine neue Immobilie in bester Lage entdeckt.
 Ein riesiges Loch klafft im Boden – der alte Dachs kann von hier oben den Boden nur erahnen. Äste und weit ausragende Wurzeln erleichtern den Abstieg. Und wenn er blinzelt, fällt da sogar seitlich ein schmaler Lichtstreif auf die gegenüberliegende Wand.

 Es muss eine Schlucht geben oder eine schmale Rinne. Auf jeden Fall einen bequemen Abstieg in seine neue Dachshöhle. Dort tief unten wird ihn niemand stören. Und dieses nervige Sägen wird dann – wie alle lauten Geräusche – vom dichten Erdreich geschluckt.
 Der Fuchs ist keine Konkurrenz für diese Topplage. Der hat seinen Fuchsbau längst in die Zivilisation verlegt mit Zentralheizung, Strom für die Kühltruhe mit Hühnerklein und eine Anbindung an das Glasfasernetz für Fernsehen, Telefon und Internet. So im Hochwald wohnt man doch immer noch nach Altvätersitte.
Doch der alte Dachs ist begeistert, dies wird sein neues Reich, tief im Boden und nur mit so viel Außenkontakten, wie er es haben will. Und die sind im Winter schon recht übersichtlich. Sollen die anderen doch sagen, dass er dabei die Geselligkeit verlerne. Er ist glücklich, wenn er die meiste Zeit seine Dinge so machen kann, wie er es nun mal für richtig hält. Und wenn das bedeutet, dass er dafür von Jahr zu Jahr immer weniger ungebetene Störer braucht. Dann ist das eben so.
 
Jetzt muss er nur aufpassen, dass nicht diese flinken Puschelträger alles wieder zunichte machen. Bevor er hier sein Bauschild aufstellen kann oder besser gleich einen Briefkasten mit Klingelschild – „Läuten zwecklos. Stellen Sie einen schriftlichen Antrag.“ Der Dachs kennt diese Leichtfüße: Noch vor dem ersten Spatenstich haben die flinken Biester hier schon Eicheln oder Walnüsse ins Loch geworfen. Ehe ein Dachs sich versieht, steht plötzlich ein riesiger Baum im Loch und versperrt die Aussicht.
 
„Hau ab!“ raunzt er das vorbeiflitzende Eichhorn an. „Und wehe, du lässt hier was fallen.“ Er behält den buschigen Unhold lieber im Auge, bis er in einem anderen Garten verschwunden ist. Dieses Getrappel flinker Beinchen, den ganzen Tag rauf und runter auf den Baumstämmen wäre ja schon nervig, wenn er nun ständig neben einer Eichhornrennbahn einziehen würde.
 
Aber zum Glück wird seine neue Höhle viel zu tief im Boden liegen. Das nervige Trippeln wird von den feuchten Erschichten über ihm sicher verschluckt. Nur sollte er verhindern, dass nicht doch noch eine Schonung vor seiner Haustür gepflanzt wird. Vielleicht sollte er schon jetzt alles mit gelbem Absperrband weiträumig sichern. Und Warnschilder für den kommenden Tiefbau aufstellen.

 Der Dachs überlegt gerade, wo er sich die ganze Sicherheitstechnik am Besten mieten kann, da hält er plötzlich inne. Er zieht den Hut vom Kopf und spitzt die Ohren: Das Sägen macht just in diesem Moment Pause. Es ist endlich wieder still.
Die Erdmannen sind aus ihrem Bau gekrochen, um zu sehen, was mit ihrem Garten passiert ist. Sie dösten gerade noch lässig in der Winterentspannung. Winterschlaf kann man es nicht wirklich nennen, wenn ständig der Pizzabringdienst klingelt, in der Glotze die Endlos-Serien laufen, oder gerade eine Konsole für ein gepflegtes Ballerspiel eingestöpselt wird.

Aber plötzlich gab es einen gigantischen RUMMS. Gefolgt von einem geringfügig schwächeren WUMMS. Das Porzellan schepperte in den Schränken. Von der Decke rieselten Erdplacken und kurzzeitig war sogar der Strom weg. Das war unheimlich. Noch unheimlicher die Stille danach. Bis sich der Fernseher wieder berappelt hatte und fröhlich die Bude wieder volllärmte. Huh wollte darauf ein Stück kalte Pizza. So ein Schreck macht hungrig. Doch Hei bestand darauf, dass sie oben nachsehen sollten. Und da sahen sie dann die ganze Bescherung. Jemand hatte die große Kiefer quer in den Garten geworfen. Und alles, was dabei im Weg stand, wurde weggefegt oder höhenreduziert. Etwas weiter hinten hat der Nachbar einen weiteren Nadelbaum gespendet, der in die letzten beiden Obstbäume gerauscht ist, um sich dort auf halber Höhe als Zweittrümmer abzulegen. Das ist nicht mehr ihr Garten.

Wenige Tage danach stehen die drei mit schwerem Gerät vor der Riesenschweinerei. Alles nur weil eine Friederike aus Sonstwo im Internet sich ihr eigenes Tief kaufen wollte und gleich einen Orkan mitgebucht hat. Man sollte schon aufpassen, wo man im Internet die Kreuze auf den Bestellformularen macht. Hei sagt Huh auch immer, er soll nicht immer den Newsletter mitbestellen und gefälligst nicht das Tagesangebot 'Ladenhüte zum Vorzugspreis' mitnehmen, das ein fürsorglicher Verkäufer schon vorab in Warenkorb gepackt hat.

Jetzt haben sie den Salat. Wobei der Salat hier ein ausgewachsener Riesenbaum ist. Ho lässt noch einmal die Kettensäge aufheulen. Er kann sie dabei kaum halten. Ein Huh muss schnell zur Seite springen.
„Lass mal,“ ruft Hei ihm durch den Lärm zu. „Ich bin mir nicht sicher, ob wir damit gegen so viel Holz ankommen.“ Vielleicht sind die drei Erdmannen doch nicht Manns genug für so eine Riesenaufgabe. Soll doch jemand anders hier Ordnung schaffen. Außerdem hat Hei sein Tablet vergessen. Und ohne technische Hilfe sieht er sich außerstande, einen guten Plan zu machen. Damit Ho nicht wild umhersägt und dabei Dinge, die später noch gebraucht werden, einen Kopf kürzer macht. Wie diese stachligen Ranken, an denen er immer mit der Kettensäge hängenbleibt.
Andernorts wird schon fröhlich gewerkelt. Die Bö-Botz ackern mit fröhlich tuckerndem Dieselantrieb im Geäst. Endlich eine Aufgabe, die alle mit Kusshand los werden wollen. Und dafür wird ein bisschen mehr Feinstaubbelastung sicher gern gesehen. Die wandelnden Blechdosen wollen ja auch nicht viel. Einen vollen Tank, etwas Anerkennung und freie Bahn bei der Gartengestaltung.
 So bearbeiten sie mit Stahl und eisernem Willen das widerspenstige Holz. Das Werkzeug dafür hatten sie sich eigentlich bereit gelegt, um Erdlingshöhlen auszuheben. Hier ist diese Ausrüstung doch etwas mickrig und schält im ersten Versuch nur die Rinde ab.
Pinkie dirigiert die ganze Aktion mit dem langen Räumhaken. Sie werden hier beweisen, dass die Botz viel zu nützlich sind, um sie wieder davonzujagen. Wenn sie diese quergeschlagene Natur aus Nadeln, Ästen und Riesentrumm beseitigt haben und könnten sie auch gleich mit der Mauseplage im Haus aufräumen.

 „Natürlich sind es Metallsägeblätter!“ Der MOD 7 verdreht das Leuchtauge. Für einen Metallroboter gibt es nichts Schlimmeres als Metallsägeblätter, die jeden Stahl verletzen können. Und das ist hier nur Holz! „Eben, es ist Holz,“ schnarrt Klotzkopf.
Der kleine Metallkasten hat gut reden, er hat schon Mühe sich mit seinen Stummelbeinen auf dem Stamm zu halten. Praktische Arme, die überhaupt Werkzeug halten geschweige denn nutzen könnten, hat er nicht. Da kann er nur altklug daherquatschen.
 

Der Kettensägen-Botz ist schon den ganzen Vormittag nicht bei der Sache. Immer wieder irrt sein Blick zum Eisen-Chef in Rosa. "Nun mach schon," meckert der gelbe Kollege. "Der Baum verschwindet nicht von allein." Schließlich hat kein anderer Botz so ein effektiven Kurz-und-Klein-Macher. Dafür opfern sie sogar den wertvollen Sprit. Jeder Botz sollte nur aufpassen, dass er außer Reichweite der sirrenden, hungrigen Sägespitze bleibt, die nicht nur Holz fressen kann.
Mit mächtigen Axthieben hauen die Bramble-Botz auf den Stamm ein. Nur der ist noch mächtiger. Das wird nun ein Hauen und Stechen, denn die wirklich effektiven Geräte haben sie schon lange abgeben müssen. Was würde hier ein Flammenwerfer für eine Schneise ziehen!

Der Sägebotz wird endlich zur Arbeit geschickt. Pinkie hat mit ihm noch etwas Persönliches zu klären. Aber das muss warten …
 Bis dahin soll der Blechwicht seine Säge gefälligst immer schön in die andere Richtung halten. Weit weg von allen lebenswichtigen Leitungen und Schaltkreisen.
 Ein Arm reicht! Von wegen "Schwund ist immer". Der Dussel soll gefälligst aufpassen, was er mit der Kettensäge abtrennt. Sein Arm ist doch "kein Beinbruch", hoffentlich findet ein Botz beim Aufräumen den Stumpf unter den herbgefallenen Zweigen und losen Nadeln. Und er findet dann jemanden, der den fehlenden Arm wieder funktionsfähig montieren kann. So lange braucht er die lange Räumstange, um einarmig das Gleichgewicht auf den rutschigen Stämmen zu halten. Noch muss er hier alles im Blick der Zwei-Objektiv-Optik behalten.
 
 Der so gescholtene Armstrong muss sich einen einsamen Ast suchen, bevor er weiteren Blechschaden anrichten kann. Die anderen bearbeiten den Hauptstamm. Er beginnt dafür das Kroppzeug zu entasten. Für die dicken Durchmesser reicht das Sägeblatt nicht für einen einfachen sauberen, glatten Schnitt.
 Die drei Mäuse sind beeindruckt. Sie haben eine Rieseneisenstange aus dem Geäst gezogen. Wahrscheinlich haben die eifrigen Blechdosen sie liegen lassen, um lieber zu Axt und Säge zu greifen. Sie schauen endlich nicht mehr mit ihren kalten Maschinenaugen auf die kleinen Nager und zischen "verdammte Erdlinge" hinter ihrem Rücken. Dafür haben sie nun offensichtlich keine Zeit mehr. Dann kann es ja auch nicht so wichtig sein.

Die Mäuse verschwinden im Nadeldickicht und lassen die Brechstange lieber dort, wo sie sie gefunden haben. Sollen die Botz doch weiter schuften. So lange sie dort so schwer beschäftigt sind, haben kleine Mäuse freie Bahn auf den verbliebenen Freiflächen. Das Kreischen der Säge, das Knacken der wegbrechenden Äste und Lärmen der Dieselmotoren geht noch Stunden weiter. Mit ihren nachtaktiven Infrarotaugen müssen die Botz erst Pause machen, wenn der Tank mal wieder leer ist.


Idee: SchneiderHein    Fotos: W.Hein

Das ist wieder so ein Auftrag, der aus den Fugen geraten ist. Ich sollte die Erdmänner mit schwerem Gerät in Garten schicken, der seit dem Gestaltungswillen von Sturm Friederike eine ganz neue Struktur bekommen hat. Leider eine, die uns überhaupt nicht gefällt, war doch der alte Baumbestand immer einer der großen Pluspunkte für die Antwort auf die Frage: Was machen wir eigentlich hier? Nun müssen wir uns eine neue Antwort suchen und dabei auch noch querliegende Riesenbäume verschwinden lassen. War der Garten seit dem Zusammenbruch des Efeuapfelbaums schon ein schwieriger Bärenhintergrund geworden, ist es jetzt wohl für die nächsten Wochen und Monate unmöglich, hier etwas anderes als Baustellenbilder von Trümmern und Abbrucharbeiten zu bekommen. Damit sich das schnell ändert, sind die Roboter leider nur eine bgrenzte Hilfe...

4 Kommentare:

Claudia hat gesagt…

Hallo, ihr beiden!
Ich bin hin und weg ... selbst aus einem Unwetterschaden, den Friederike angerichtet habt, schafft ihr eine so liebenswerte und wunderschöne GEschichte! Ich danke Euch von Herzen dafür!
Es war mir, wie stets, ein großes Vergnüngen!
ღ Ich wünsche Euch einen wunderschönen Tag ღ
♥ Allerliebste Grüße , Claudia ♥

kleine-creative-Welt hat gesagt…

Ja da schließ ich mich Claudia an - so traurig es ist, was Friederike euch angetan hat.... die Geschichte ist mal wieder super -
der Dachs hat ja offensichtlich weder Angst noch ein Problem - ihm kommt es recht so - muss mal wieder grinsen: Klingeln zwecklos... herrlich -
das Eichhorn sollte vielleicht ein wenig vorsichtiger sein -so ein schwerer Ast kann ordentlich Schaden anrichten - so niedlich sind die helmtragenden Erdmännchen - ich liebe Erdmännchen - weniger die Blechmonster, die halt auch ihre Berechtigung haben - und süß sind dann wieder die Mäuse anzusehen -
hoffentlich kommt alles wieder ins Lot -

liebe Grüße - Ruth

SchneiderHein hat gesagt…

@ Claudia
Ja, etwas Galgenhumor muss sein ;-( Der Garten ist arg zugerichtet. Und bis es dort ein Eckchen gibt, wo wir mal wieder Leben oder Wolfgang mit seinen Plüschgesellen ein Foto-Shooting machen kann, wird es leider noch sehr lange dauern. Allerdings ist der Kieferstamm seit Montag handlicher und bildet jetzt schon die erste Reihe im geplanten Rosen-Hochbeet. Und irgendwann wird es wohl auch wieder lauschige Ecken für Erdmänner, Dachs & Co geben ...

SchneiderHein hat gesagt…

@ Ruth
Inzwischen hat sich der Eingang zum Dachsbau schon ziemlich verändert. Ich hoffe, dass er am letzten Montag, als die 21,5m lange Kiefer in 70cm große Stammstücke zerkleinert wurde, nicht Zuhause war, denn der Wurzelballen hat sich von sich aus beim Absägen wieder etwas ins Erdreich abgesenkt. Nun sieht es dort nicht mehr ganz so wirr auf dem ehemaligen Komposthauefen aus. Aber in den nächsten Wochen wird es dem ruheliebenden Dachs beim Umschichten der Hölzer dort sicherlich etwas zu laut vor allem wenn in der übernächsten Woche der riesige Shredder zum Kleinholz-machen kommt.
Danach haben die Blechmänner wohl noch mehr mit Aufräumarbeiten zu tun. Und wie ich von Herrn Hein gehört habe, werden die Erdmänner wohl vorerst auswandern. Aber das ist eine andere Geschichte ...